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Einer gewinnt

Der Maidan-Rat hat Arseni Jazenjuk als Ministerpräsidenten nominiert. Der Banker ist umstritten.

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© dpa

Andrea Schawe

Der frühere Parlamentschef Arseni Jazenjuk soll nach dem Machtwechsel in der Ukraine Interims-Regierungschef der früheren Sowjetrepublik werden. Das schlug der sogenannte Maidan-Rat der Demonstranten am Unabhängigkeitsplatz in Kiew gestern Abend vor. Er setzte sich gegen den reichen Oligarchen und Ex-Außenminister Pjotr Poroschenko durch. Julia Timoschenko und Vitali Klitschko standen nicht auf der Liste. Beide wollen im Mai zu Präsidentschaftswahlen antreten.

Die Kandidatur von Arseni Jazenjuk wurde von den Zehntausenden Aktivisten aber auch mit zahlreichen Pfiffen aufgenommen, weil der 39-Jährige nicht für einen echten Neuanfang stehe. Dem Maidan-Rat gehören Schlüsselfiguren der Protestbewegung in der Ukraine an. Dem Vorschlag muss das Parlament heute noch zustimmen. Dem Kabinett soll auch der mutmaßlich gefolterte Regierungsgegner Dmitri Bulatow als Sportminister angehören. Der Kommandant des Protestlagers auf dem Maidan, Andrej Parubij, wird Chef des Sicherheitsrates.

Vielen Ukrainern galt Arseni Jazenjuk als Fraktionschef der Vaterlandspartei lange nur als Platzhalter für die inhaftierte Julia Timoschenko. Medien in Kiew bezeichnen ihn oft als blassen Technokraten. Mit seinen mitreißenden Reden bei den Protesten auf dem Maidan hat es der 39-Jährige aber geschafft, aus dem Schatten der übermächtigen und jetzt aus der Haft entlassenen Parteikollegin zu treten.

Politische Erfahrung besitzt Jazenjuk reichlich. Der promovierte Jurist und Ökonom war von Dezember 2007 bis September 2008 Parlamentspräsident. Mit 31 Jahren wurde er 2005 unter Präsident Juschtschenko erst Vizegouverneur in der Region Odessa, dann Wirtschaftsminister, zwei Jahre später Außenminister. Zudem verfügt der eher zurückhaltende Politiker, der für seine demonstrative Sparsamkeit bekannt ist, über Erfahrung in der Welthandelsorganisation (WTO).

Noch während seines Studiums von 1991 bis 1996 sammelte er erste Berufserfahrungen in einer Rechtsberatung, die er zwischen 1992 und 1997 in Czernowitz führte. 1998 wechselte er nach Kiew zur AT Aval Bank, eine der größten ukrainischen Banken. Dort stieg Jazenjuk zum Berater des Vorstandsvorsitzenden auf. 2001 wurde er für kurze Zeit dessen Stellvertreter. Im selben Jahr wurde er Mitglied der Regierung der Autonomen Republik Krim. Dort leitete er erst kommissarisch und dann vollständig das Wirtschaftsministerium. Während Janukowitschs erster Präsidentschaft wurde er zum Vizepräsidenten der Nationalbank der Ukraine ernannt, die er auch sechs Monate kommissarisch leitete.

2010 meldete Jazenjuk Ambitionen auf das Präsidentenamt an. Umfragen von 2009 sahen ihn neben Timoschenko und Janukowitsch unter den aussichtsreichsten Kandidaten für die Position des Staatsoberhauptes. Allerdings erreichte er nur 6,69 Prozent der Wählerstimmen.

Der verheiratete, katholische Familienvater vertritt einen stark prowestlichen Kurs, plädiert für eine liberale Wirtschaftspolitik und gilt als Befürworter eines Nato-Beitritts der Ukraine. Die Financial Times bezeichnete ihn als „Favoriten der Amerikaner“. Nach der Haftentlassung von Timoschenko war seine Rolle zunächst unklar. Zwar schob er die im Rollstuhl sitzende Politikerin auf die Bühne am Maidan, glücklich sah er dabei aber nicht aus. Beobachter schließen nicht aus, dass es in der Partei nun zu einer Zerreißprobe kommen könnte. (mit dpa)